Agnes Waters & 1770: Surferparadies & Nummernstadt
Agnes Water und 1770 sind eigentlich zwei kleine Städtchen hier an der australischen Ostküste, die direkt nebeneinander und miteinander existieren.
1770 macht sogar Werbung damit, dass es der einzige Ort in Australien ist, der aus einer Nummer besteht.
1770 ist an der ganzen Ostküste eine magische Zahl, denn es ist das Jahr, in dem James Cook mit seinem berühmten Schiff Endeavour in Australien landete. Alles Historische entlang der Ostküste rankt sich um dieses Jahr.
Für die Aborigines ist das Jahr nicht wirklich ein Highlight, denn es markiert den Beginn ihrer langen Leidenszeit unter den Weißen, die Australien für sich erobert haben.
Heute versucht man, gemeinsam mit den Aborigines wieder etwas gut zu machen und Gemeinsamkeiten zu finden. Eine davon ist das jährliche 1770 Festival, das während unserer Zeit hier in diesen beiden irgendwie verwobenen Orten 1770 und Agnes Waters stattfindet und dem Gedenken an den Tag gewidmet ist, an dem James Cook zusammen mit seinem Assistenten Daniel Solander und seinem Botaniker Joseph Banks hier am Round Hill Head an Land ging. Das Festival wird mit vielen Bands, umringt von Essens- und kleinen Souvenirständen gefeiert, es gibt eine Parade, ein Feuerwerk und der hiesige Aborigine Stamm präsentiert sich mehrmals den Teilnehmenden und Feiernden.
Es war ein entspanntes Fest auf einem der größeren Rasenflächen direkt an der Küste von 1770, auf dem wir Samstagabend herumschlenderten, einer wirklich guten Cover Band zuhörten und mitwippten, uns an den Ständen mit Fingerfood versorgten und ein kaltes Dosenbier tranken. Der bärtige Typ an der Dosenbier-Bar fragte uns dreimal, ob wir nicht wirklich einen Dosenhalter haben wollen, damit die Finger nicht kalt werden. Als ich ihm dann zurief, dass es nicht notwendig sei, weil wir schnell im Trinken sind, lachte die halbe Barbesetzung mit mir.
Es war aber auch kalt geworden! Nachdem wir tagsüber noch in Shorts und T-Shirt unterwegs waren, habe ich mich abends auf dem Festival nach meiner Daunenjacke gesehnt. Der Dosen-Cider war dann tatsächlich schnell ausgetrunken und beim Mittanzen in der Menge, wurden auch die Finger schnell wieder warm.
Es war auf einmal wie zu Hause in Deutschland, als ich einen Vater und eine Mutter hörte, die ihrer Tochter, die noch auf dem Festival bleiben wollte, hinterher riefen ‚Behaaaave‘ – ‚Benimm Dich‘. Woher kenne ich das nur? 😉 Und als der Vater noch laut ergänzt ‚Remember, the city is smaaaaall‘ – ‚Denk dran, die Stadt ist klein‘, muss ich losprusten. 😀
Wir hatten diesmal für vier Nächte ein kleines Ferienhäuschen gebucht. Es liegt in einer speziellen Siedlung, die aus Agnes Waters raus, mitten in einem nachträglich gepflanzten Wald angelegt ist, nur über einen Zugangscode betreten werden kann und in der die meisten Häuser von den Eigentümern dauerhaft bewohnt werden und nur eine Handvoll als Ferienhaus ausgewiesen ist. Irgendwie konnten wir uns das noch nicht so richtig vorstellen.
Das Tor fanden wir aber recht schnell und den Zugangscode hatten wir bereits erhalten und so fuhren wir in das Waldstück hinein, auf einer gut gebauten, aber engen Straße, sehr gepflegt und gut befestigt, von der rechts und links die Zufahrten zu den Häusern abgingen. Häuser ist gar kein Ausdruck: Tempel hat man sich hier – meist mit Meerblick – in den Hang und den Wald gebaut. Wobei man sehr genau durch die Bäume blicken musste, denn die Häuser lagen oft ein Stück entfernt von der Straße, abgeschirmt durch hohe Bäume. Die Siedlung ist auch noch längst nicht fertig bebaut, also wer noch ein nettes Grundstück mit Meerblick sucht, wird hier sicher noch fündig. Durch die wenigen Häuser erhält man zurzeit auch noch mehr den Eindruck eines Waldes als einer Siedlung. Wir haben jedoch den Plan gesehen, der bestimmt 100 bis 120 Wohneinheiten auf dem Gelände vorsieht. Da wird also noch einiges an Wald weichen müssen.
Die Straße verlief in Kurven und bergauf, bergab durch den Wald und es dauerte sicher 2 km bis wir rechts unser Domizil fanden. Wir bogen also auf unseren Waldweg ein und nach etwa 30 Metern öffnete sich ein kleiner Schotterparkplatz und wir näherten uns dem Haus von der Seite.
Es war nicht vergleichbar mit den bisher passierten ‚Tempeln‘ und deutlich kleiner, aber modern mit einer Art Wintergarten und erhöht auf Stelzen mit vielen Fenstern.
Auch innen war es modern ausgestattet, hatte einen offenen Wohn-, Ess-, Kochbereich und ein separates Schlafzimmer mit Bad. Warum ich das so beschreibe, wenn ich das sonst nicht getan habe? Nun ja, ich komme mal wieder auf die Kälte zurück: so ein Häuschen muss bei den Temperaturen auch beheizt werden und außer eine Klimaanlage im Schlafzimmer, die auch als Heizung diente, gab es genau nichts! So modern wie es war, so froren wir auch an unseren ersten beiden Abenden genauso wie morgens, wenn wir aus dem Schlafzimmer in die ‚Eishölle‘ der Küche kamen. Es kam durch die hohen Bäume nur mäßig Sonne hinein, so dass abends ab 18 Uhr die Temperaturen außen wie innen schnell fielen. Dicke Klamotten allein halfen da nicht, also wurden wir erfinderisch und stellten den Backofen auf 250 Grad und ließen die Tür offen stehen.
Dazu verbrachten wir noch eine Stunde mit einer zusätzlichen Reinigung von Schränken, hinter dem Bett und der Waschmaschine, was uns etwas frustrierte. Über das Verständnis von Sauberkeit zwischen Australien/Neuseeland auf der einen Seite und Europa auf der anderen Seite, könnte ich mittlerweile ein eigenes Kapitel schreiben. Aber lassen wir das….
Mittlerweile fühlen wir uns ganz wohl, haben einen zusätzlichen Heizlüfter erhalten und uns mit der Känguru-Mama mit ihrem Baby im Beutel vor der Haustür angefreundet.
Und wir können endlich mal wieder kochen! Ok, Dirk kocht – ich schreibe Blog. 🙂
Ach, vielleicht nochmal was zu der Kälte, der wir hier derzeit vor allem abends und nachts ausgesetzt sind. Grundsätzlich ist es auch im Winter an der Ostküste Australiens, von Port Douglas bis hierher nach Agnes Water, immer angenehm warm. Das sollte eigentlich auch so bis Brisbane bleiben: die tropische Schwüle ist weg, die Regenzeit ebenfalls und jetzt sollte ein angenehm warmes Wetter einsetzen.
Die derzeitigen Temperaturen scheinen nach Aussagen einiger Aussies allerdings eher eine Ausnahme zu sein. Diese Ausnahme hält nun aber schon ein paar Tage an. Vor gut 10 Tagen hatte ich noch in den Nachrichten vernommen, dass vor allem zwischen Sydney und Melbourne eine Art Kälteeinbruch verzeichnet wurde und sich die Temperaturen maximal zwischen 0 und 5 Grad Celsius bewegten. Es gab wohl wieder eine antarktische Front, die der australische Süden und Osten abbekommen hat. Und auch unsere Hausverwalterin meinte heute, als sie den Heizlüfter vorbei brachte, dass dies recht außergewöhnlich kalte Temperaturen wären und sie nicht gewohnt sei, im dicken Sweatshirt herumzulaufen. Ich erklärte, dass wir den Backofen zum Heizen genutzt hätten, und erwartete eine geschockte Verwalterin. Aber sie meinte nur, das wäre eine super Idee und das würde sie zu Hause auch so machen. What ??? Also hoffe ich jetzt eigentlich nur, dass wir in unserer nächsten Station auf der Insel, Lady Elliot Island, nicht auch mit dicken Klamotten und Socken im Bett arbeiten müssen.
Unsere Nachmittage verbrachten wir an den wunderbaren Stränden von Agnes Waters. Stränden – genau – Mehrzahl! Und alle entweder leer oder nur wenig frequentiert. Wir konnten lange Strandspaziergänge machen, zwischen den Felsen klettern, lustige Fotostrecken erstellen und begegneten nur wenigen Menschen. Einige mit Hunden, die mit Vorliebe im Wasser spielten, andere, die mit Yoga-Matte an den Strand wanderten, wieder andere hatten ihr Workout hinter sich und waren sich im Sand am stretchen und die letzten Liegestützen am Absolvieren.
Wir haben genau die relaxte Zeit, die ich mir so gewünscht hatte und die jetzt nochmal außerordentlich zu unserer Erholung beiträgt nach den vielen Wochen, Monaten, Highlights, Touren, Begegnungen, Fahrten und nochmal Touren.
Dazu sind die Leute in Agnes Waters extrem freundlich, wie ich finde, und sehr offen. Es gibt viele entspannte Surfer und Individualisten, die das pure und einfache Leben bevorzugen. Ich habe selten so viele Leute barfuß durch die Stadt laufen sehen, so viele Dreadlocks, auch an etwas älteren, weißen Männern. Hier gibt es keine seltsamen Diskussionen der kulturellen Aneignung, man macht einfach das, worauf man Lust hat. Wie die ältere Dame, die mit ihren beiden Hunden und den beiden Kakadus auf ihren Schultern Gassi gegangen ist. Leben und leben lassen. Auch das gibt mir wieder Raum, mal über mich und wie es mit mir weitergeht nachzudenken, wie ich etwas mehr Entspanntheit in mein deutsches Leben bekomme. Mal sehen was draus wird.
Hang loose. 🙂