Kleiner Ausflug in Politik und Religion
Eigentlich sollte jedem nach einem interkulturellem Training klar sein, dass es mindestens 2 Themen gibt, über die man mit Lokalen besser niemals spricht: Politik und Religion ! Das gilt übrigens nicht nur für Asien, sondern eigentlich für fast jede Nation und es war Teil jedes interkulturellen Trainings, das ich bisher absolviert habe – egal ob es für Asien, Russland oder Polen war.
Und egal wo ich bisher war: das Thema kam trotzdem immer darauf. Und gerne wird man auch durch die Lokalen zur Situation im eigenen Land und der eigenen Meinung dazu ausgefragt.
Ich weiß gar nicht mehr wie viele Mittagessen ich bereits mit meinen Singapur Kollegen hatte, in denen es um Politik und politische Systeme ging. Denn eines wird schnell klar: den Singapurern ist durchaus bewusst, dass man ihr Land und ihr politisches System in der Welt nicht für demokratisch, sondern eher autoritär hält. Und sie verteidigen es vehement – und das in ganz vielen Aspekten durchaus zu recht, wie ich immer wieder feststellen muss.
So streiften wir in den diversen Mittagspausen durch die unterschiedlichen sozialen Systeme und diskutierten Themen wie Renten, Arbeitslosigkeit und auch Vorsorge. Weiterhin tauschten wir uns aus zu Haus- und Wohnungskauf, Kindererziehung speziell in Sachen Kindergarten, Nannys, Sprachen, Mobil-Telefon-Nutzung ab dem Säuglingsalter :-D, Haustieren (Hund, Katze, Kakerlake) und Singapur-Erlasse und Gesetze im Bereich Gartenarbeit (z.B. zur Vermeidung von Malaria-Stechmücken-Brut).
Zum Thema Rente und Arbeiten im Alter hatte ich Euch im früheren Beitrag schon etwas geschrieben, nämlich dass noch im Alter von 70 und höher gearbeitet werden muss, um für den Lebensunterhalt zu sorgen, da es für diese ältere Generation noch keine Rente oder Vorsorge gibt. Das ist wirklich bitter für diese Generation, in der jüngeren Generation sieht es da zum Glück anders aus. Hier ist auch private Rentenvorsorge mittlerweile ein Thema in Singapur.
Das politische System in Singapur führt immer wieder zu Diskussionen. Laut Wikipedia ist es eine illiberale Demokratie. Das heißt, der Staatsaufbau mit seinen Organen gleicht dem einer Demokratie, allerdings nimmt man es mit der Verfassung nicht immer ganz so ernst und ändert und interpretiert nach Belieben. Das ist dann also abhängig von den regierenden Personen. Letztlich muss man aber sagen, dass Singapur damit nicht schlecht fährt derzeit. Es herrscht im asiatischen Vergleich ein immenser Wohlstand und man hat trotz einer (gefühlt) hohen Anzahl an Verboten die Möglichkeit, ein sehr selbstbestimmtes Leben zu führen. Bei den Verboten geht es eigentlich immer um eins – frei nach Konfuzius: „Begegne den Menschen mit der gleichen Höflichkeit, mit der du einen teuren Gast empfängst. Behandle sie mit der gleichen Achtung, mit der das große Opfer dargebracht wird. Was du selbst nicht wünschst, das tue auch anderen nicht an. Dann wird es keinen Zorn gegen dich geben – weder im Staat noch in deiner Familie.“
Oder auch der kategorische Imperativ trifft es ganz gut – frei nach Immanuel Kant:
Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.
Und so hat man hier eigentlich (fast) alle Freiheiten nach seinem Wunsch zu leben, allerdings unter Berücksichtigung der Freiheiten der anderen – gesichert durch Singapurische Gesetze !
Mir verschafft das hier ein sehr angenehmes Leben, insbesondere in Bezug auf mein individuelles Sicherheitsgefühl in diesem Land.
Um ehrlich zu sein: dieses Gefühl der Sicherheit hatte ich schon lange nicht mehr, nicht in Deutschland und in keinem anderen Land, das ich in den letzten Jahren bereist habe.
Gerade die derzeitige politische Situation in Deutschland, Europa und natürlich darüber hinaus vermittelt einem auch durch die unmittelbare Terrorgefahr kein gutes Gefühl in punkto Sicherheit und Freiheit.
Bei einer Stadtführung vor ein paar Wochen hat uns ein Guide erzählt, dass er immer wieder Amerikaner in seiner Führung hat, die etwas verächtlich auf die nicht so demokratische Staatsform Singapurs herabschauen und er sieht sich ständig genötigt, sein Land zu verteidigen. Und damit hat er durchaus recht: es gibt in Singapur keinen Terror, ich kann mich auch als Frau spätabends und in der U-Bahn angstfrei alleine bewegen, auch die Schulkinder sind hier sicher, denn es gibt keine Menschen und erst recht keine Schüler, die Waffen tragen. Und da muss ich doch mal sagen: an Stelle dieser Amerikaner wäre ich mal ganz ganz leise…. Und würde mal fragen, ob sie einen despotischen Präsidenten in einem 2-Parteien-Staat für eine Lehrbuch-Demokratie halten – oder ob sie nicht mal besser über die echten, die wahren demokratischen Werte nachdenken sollten und wie die sich gerade im Zusammenleben in Singapur manifestieren.
Ja, es gibt hier viele Verbote, aber wenn man bedenkt, dass es in jeder Religion dieser Welt die „10 Gebote“ gibt, im Christentum, im Judentum, auch im Islam hat Mose Gebote von Gott empfangen, die Buddhisten leben nach den 10-Sitten-Regeln – letztlich alles Regeln, die das Zusammenleben von Menschen regeln sollen – und derzeit überall auf dieser Welt mit Füßen getreten werden. Vor diesem Hintergrund ist das Zusammenleben hier, welches geprägt ist von vielen verschiedenen Kulturen, Mischkulturen und Religionen, in einer Weise geregelt, die ein harmonisches Nebeneinander ermöglicht.
Ich bin regelmäßig beeindruckt, wie sich die Religionen hier vermischen:
- es gab Zeiten, da haben Hinduismus und Buddhismus gemeinsame Religionsformen u.a. auch in der Gestaltung von Tempeln gefunden
- Unsere Putzdame im Büro ist bekennende Christin – ihre Mutter hingegen Buddhistin
- Der eine Kollege ist Moslem, der Vater ist Hindu, wie er uns erzählt.
(Foto der Synagoge wird noch nachgeliefert !)
So ein Satz, wie ihn derzeit in Deutschland Horst Seehofer prägt (ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht) klingt nach den wenigen Wochen in diesem Multi-Kulti-Religionen-Land so dermaßen absurd, dass ich schreien könnte: kommt hierher und seht euch an wie es funktioniert !
Und by the way: hier fühlt sich keine Frau in irgendeiner Weise unter Druck gesetzt, ein Kopftuch zu tragen – das geht alles so wieder jeder möchte, ganz friedlich nebeneinander und miteinander. Die derzeitigen Debatten, die ich natürlich mitbekomme aus Deutschland machen mich da ehrlich gesagt fuchsteufelswild ! Ich schäme mich dafür, dass wir in Deutschland Debatten führen, die ich hier kaum erklären kann, weil sie für die Menschen hier, die eigentlich in ihrem kulturellen Zusammenleben so viel moderner sind als wir, so absurd klingen. Wie soll ich bitte darlegen, warum ausgerechnet in einem Land mit der Historie Deutschlands wieder Antisemitismus auf dem Vormarsch ist. Und man wird immer wieder auch nach solchen Themen gefragt, weil unter anderem auch die Deutsche Migrationspolitik über alle Grenzen Schlagzeilen gemacht hat und dann driften die Themen automatisch ab.
Ja, nicht nur der Trainerwechsel bei Bayern München von Jupp Heynckes zu Niko Kovac ist hier in Singapur eine eigene Schlagzeile wert !
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen in diesem Blog keine politischen oder religiösen Themen anzuschneiden, sofern sie nicht zum Sightseeing gehören, aber die Diskussionen, die man hier führen kann sowie das was derzeit in der Welt passiert und in Deutschland geschieht, lassen auch einen Aufenthalt wie diesen – so kurz er vielleicht sein mag – in einem speziellen Licht erscheinen und eigene Einstellungen sowie Debatten in Deutschland immer wieder hinterfragen. Und genau dafür ist auch dieser Aufenthalt gut. Neue Blickwinkel waren schon immer der Türöffner für tolerantes Verhalten.
Und so ergab es sich – und nun schwenke ich mal wieder zu den Anekdoten um – dass meine Singapur Kollegen mir letztens recht frei erzählten, was es mit ihrem Feiertag an Ostern auf sich hat, an dem man den Friedhof und die Gräber der Verwandten besucht, um sie zu reinigen und neu zu bepflanzen und zu schmücken. Zudem ist an Ostern ganz klar der Kirchenbesuch eingeplant, denn die Menschen hier sind sehr gläubig.
Dann kamen wir auf Bestattungsrituale zu sprechen und dazu wurde einfach mal der Kollege nebendran angestoßen und unverblümt gefragt, wie das denn bei ihm sei, schließlich wäre er doch Moslem. Der Kollege wiederrum erzählte dann auch ganz freigiebig, dass eine Bestattung im Islam sehr schnell zu erfolgen hat, maximal 24 Stunden nach dem Tod, wenn ich mich recht entsinne. Und er erzählte auch sehr praktikabel, wie es funktioniert, dass dann der zu Bestattende so begraben wird, dass er mit dem Gesicht nach Mekka schaut.
Allerdings erklärte er uns auch, dass die Rituale bei den Hindus nochmal ganz anders aussehen und dass hier bei der Bestattung des Vaters zum Beispiel dann dem Sohn beim Ritual besondere Aufgaben zukommen. Da er jedoch Moslem ist und sein Vater Hindu war, mussten an dieser Stelle die Cousins einspringen und die Rituale durchführen, die unter anderem eine Verstreuung der Asche auf See vorsehen.
Ich hoffe, ich habe das alles so richtig zusammengefasst – man nagele mich bitte nicht fest. Aber es soll eigentlich veranschaulichen, über welche Themen hier – vor allem in der jüngeren Generation – frank und frei gesprochen und diskutiert wird. So funktioniert Informationsaustausch und tolerantes Miteinander ! Ich bin überzeugt davon, dass nur Wissen & Erziehung Intoleranz überwinden kann. Und ich bin immer ein dankbarer Zuhörer für solche Anekdoten und Einsichten in diese persönliche Welt meiner Mitmenschen.
Ich wünsche einen weiten Horizont nach Deutschland – Gute Nacht, Singapur !
Ein Kommentar
S und A
Danke für diesen tollen Artikel, der sehr zum Nachdenken und Innehalten anregt. Viele Inspirationen und ein sinnvoller Aufruf für mehr Toleranz im Leben. Liebe Grüße nach Singapur.
Und wir freuen uns Dich übernächste Woche wieder zu sehen und sind gespannt auf Deine weiteren Schilderungen.